Der Fall Gucci – Nach der Haft kreiert Patrizia Reggiani Taschen

Man nennt sie die «Schwarze Witwe». Patrizia Reggiani über die Zeit der Haft, ihren neuen Job und den Niedergang des Jet-Sets.

Von Nina Merli

18. Januar 2015
Ein sonniger Frühlingstag kündigt sich an, als Maurizio Gucci kurz nach dem Frühstück seine Wohnung verlässt. Wenige Minuten später, um 8.30 Uhr, bricht er im Treppenhaus seines Büros in der eleganten Via Palestro in Mailand tot zusammen – mit vier Pistolenschüssen niedergestreckt, von einem Auftragskiller.

Der Jet-Set-Mord

Die Nachricht schlägt an diesem 27. März 1995 in Mailand ein wie ein Bombe. Maurizio Gucci († 47) ist ein berühmter Mann. Sein Grossvater war der Florentiner Firmengründer Guccio Gucci, sein Name steht für ein weltweit bekanntes Luxuslabel. 1993 hatte Maurizio seine Anteile an eine Privatbank in Bahrain verkauft. Im «Milano bene», der städtischen High-Society, war viel über diesen Deal getuschelt worden: über die nicht vorhandene Geschäftstüchtigkeit des Erben – aber noch viel mehr über den jahrelangen Rosenkrieg, den er sich mit seiner Ex-Frau Patrizia Reggiani (66) geliefert hatte.
Viele vermuten die Mafia als Auftraggeber des Mordes, auch von Spielschulden ist die Rede, von undurchsichtigen Finanzgeschäften im Nahen Osten. Eine Zeit lang verfolgt die Polizei sogar eine Spur in die Schweiz, wo Gucci an einem dubiosen Spielcasino-Projekt beteiligt gewesen sein soll. Doch der Mordfall bleibt ungelöst.
Erst knapp zwei Jahre später, dank eines anonymen Informanten, der sich im Januar 1997 bei der Mailänder Kripo meldet, kommt Bewegung in die Ermittlungen. Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Am 31. Januar klingelt die Polizei um fünf Uhr morgens am noblen Corso Venezia 38.
Verschlafen öffnet Patrizia Reggiani die Tür. Zwei Stunden später verlässt die «Liz Taylor von Mailand», wie ihr Ex-Mann sie einst liebevoll zu nennen pflegte, die 1000-Quadratmeter-Luxus-Wohnung, standesgemäss in einen Nerzmantel gehüllt. Noch am selben Morgen landet sie in einer Drei-Quadratmeter-Zelle im Mailänder Gefängnis «San Vittore». Hier wird Reggiani die nächsten 17 Jahre zubringen: Denn nicht die Mafia hatte einen Auftragskiller auf Maurizio Gucci gesetzt, sondern seine von Eifersucht getriebene Ex-Frau.
Es folgt ein Prozess, der die internationale Presse wochenlang beschäftigt. Kein Wunder, bietet der «Mordfall Gucci» doch alle Ingredienzien, die es für süffige Schlagzeilen braucht: eine verlassene, mordlustige Gattin, ihre vermeintlich beste Freundin, eine neapolitanische Kartenlegerin, zwei verschuldete Drogendealer, die sich als Killer anheuern lassen, sowie – als tote Hauptfigur – ein millionenschweres Mitglied des Jet-Set.
Reggiani kassierte 26 Jahre Haft. Die Kartenlegerin Pina Auriemma (69), die den Kontakt zu den Killern hergestellt hatte, wanderte ebenfalls ins Gefängnis.
Ihre Strafe sitzt sie nur wenige Zellen neben der von Reggiani ab. Die Frauen schieben sich bis heute gegenseitig die Schuld in die Schuhe: So soll Auriemma laut Reggiani den Mord ohne ihr Wissen in die Wege geleitet haben, um sie danach zu erpressen und ihr umgerechnet etwa 260 000 Euro abzuknöpfen. Sie soll sogar gedroht haben, Reggianis zwei Töchter umbringen zu lassen.

Die Zeit im Gefängnis

Heute will Patrizia Reggiani nicht mehr über ihren Mann sprechen, schon gar nicht über den Mordfall. Es sei alles gesagt. Andere Fragen beantwortet die inzwischen 66-Jährige mit entwaffnender Offenheit.
Wie sie die 17 endlosen Jahre im Gefängnis überstanden habe? Ausgerechnet sie, die zwischen New York, Mailand und St. Moritz pendelte, ein Leben in Luxus gewohnt war? «Auch wenn das jetzt erstaunen mag: Aber die Zeit im Gefängnis war gar nicht so schlimm.» Sie sei «von Natur aus Optimistin, eine Kämpferin» und habe von Anfang an «Stärke signalisiert, weil man sonst unter die Räder kommt». Sie habe das Beste aus ihrer Zeit «im Victor Residence» gemacht, wie sie das Gefängnis ironisch nennt: «Schon nach kurzer Zeit haben mich die anderen Insassinnen bewundert, meinen Stil kopiert, sich geschminkt und parfümiert.»
Reggiani lacht. Die meiste Zeit habe sie ohnehin im Garten oder in der Gefängnis-Schneiderei verbracht. Schlimm sei eigentlich nur die Trennung von ihren beiden Töchtern gewesen. Jeweils nur eine Stunde, zweimal wöchentlich habe sie Alessandra (38) und Allegra (33) sehen können. «Für eine Mutter die schlimmste Bestrafung, die es gibt», sagt sie. Jetzt klingt sie zum ersten Mal während des Gesprächs bedrückt.
Doch auch das sei vorbei. Heute seien ihre zwei «mein grösstes Glück». Die Jüngere lebe übrigens in der Schweiz, in St. Moritz. Sobald sie wieder ein freier Mensch ist (noch darf Reggiani das Land nicht verlassen; Red.), «werde ich den gesamten Winter in St. Moritz verbringen!» Mailand sei ja kaum mehr auszuhalten. «Schauen Sie sich mal den Jet-Set an! Lauter Menschen ohne Stil, ohne Benehmen!» Sogar in der Scala begegne man Leuten in Jeans.
Reggiani bedauert auch die Entwicklung des Luxuslabels Gucci, in das sie an der Seite ihres Mannes so viel Energie gesteckt hatte, damals, als sie als «Signora Gucci» den Sommer an Bord ihrer Yacht «Creole» verbrachte, eines Luxusseglers, der einst dem griechischen Reeder Stavros Niarchos gehörte.

Blick nach vorn

Im Herbst 2013 wurde Patrizia Reggiani vorzeitig aus der Haft entlassen. Die Mailänder Justizbehörden beschlossen, dass sie nebst ihrer Arbeit als Designerin drei Jahre Sozialdienst leisten müsse. Aufgabe Nummer eins nahm sie im Sommer 2014 in Angriff. Dabei entstand die Kollektion «Patrizia Reggiani by Bozart», die demnächst auf den Markt kommt. «Ich hoffe, die Taschen verkaufen sich gut», sagt sie. Und: Die Arbeit bereite ihr sehr viel Freude. Auch ihr Papagei Bo, den sie auf der Schulter durch die Mailänder Innenstadt zu tragen pflegt, habe sie inspiriert. «Es ist eine bunte, freudige Kollektion.»
Für sich persönlich habe sie ein Regenbogenelement eingebaut. Denn «nach jedem Gewitter kommt ein Regenbogen – ich befinde mich jetzt in der Regenbogenphase meines Lebens».


Neustart als Designerin

Seit Sommer 2014 arbeitet Patrizia Reggiani als Taschen-Designerin für die Mailänder Accessoire-Marke «Bozart». Sie steht noch knapp drei Jahre unter Hausarrest und ist verpflichtet, ebenso lang für das Traditionslabel zu arbeiten. Ihre erste Kollektion kommt im Frühjahr auf den Markt, die zweite ist bereits in Produktion. «Ein Flair für Schönes» sei ihr angeboren, es nun umzusetzen, mache ihr «wahnsinnig Spass».