BLICK trifft Skandal-Autorin Charlotte Roche (37)

Interview: Nina Merli (Text) und Matthias Jung (Fotos)

6. Oktober 2015
Ihr erster Roman «Feuchtgebiete» stand monatelang auf der Bestsellerliste und verkaufte sich rund drei Millionen Mal. Jetzt ist ihr drittes Werk, «Mädchen für alles», erschienen. Der Roman dreht sich um die gelangweilte Mutter und Ehefrau Christine, die die attraktive Babysitterin verführt – bevor ihr Mann es tun kann. BLICK traf Buchautorin Charlotte Roche (37) in Köln.
Frau Roche, in Ihrem neuen Roman kommt der Sex erstaunlich spät. Was ist nur los mit Ihnen?
Charlotte Roche: Im Gegensatz zu den beiden Vorgängern, wo es ja sofort zur Sache geht, wollte ich diesmal ein bisschen warten. Zwar habe ich immer wieder ein paar Sachen angedeutet, ein Kuss hier, ein paar Streicheleinheiten da. Dieses Hinziehen hat mir wahnsinnig viel Spass gemacht! Ich weiss ja, dass jeder, der mein Buch liest, nur darauf wartet, bis ES endlich passiert.

Es stand also von Anfang an fest, dass auch in «Mädchen für alles» der Sex eine zentrale Rolle spielt?
Selbstverständlich! Ein Buch von mir ohne Sex ist einfach unvorstellbar. Beim Sex gibt es ja immer wieder ganz neue Konstellationen. Diesmal gibts keinen Ehe-Sex, dafür krallt sich die Protagonistin Christine die Babysitterin. Zum ersten Mal findet rein penisfreier Sex statt.

Was hat Sie zu diesem Buch inspiriert?
Vor zwei Jahren entdeckte ich in einem Bioladen einen Zettel am Schwarzen Brett, wo sich eine junge Frau tatsächlich als «Mädchen für alles» anpries. Das war der Auslöser für die Story.

Gibt es denn in Ihrem Haushalt ein Mädchen für alles?
Nein, eben nicht! Dabei hätte ich ja gern eines, um mit ihm all die Sachen zu machen.

«Feuchtgebiete» und «Schossgebete» waren stark aus Ihrem Leben gegriffen. Wie viel Autobiografisches steckt diesmal darin?
Es ist definitiv mehr Fantasie drin. Deswegen bin ich auch viel nervöser als bei den anderen Büchern. Was, wenn es nicht gefällt oder nicht gut ankommt?

Aber wenn man viel von sich preisgibt, ist man doch verletzbarer?
Das könnte man meinen. Aber in meinem Fall ist das nicht so. Wenn ich in einem Buch mein Leben verarbeite und jemand findet mein Leben blöd, dann ist mir das egal. Aber in diesem Roman stecken meine Ideen, und wenn die nicht gefallen, dann ist mir das nicht egal.

Trotz Fiktion gibt es aber Parallelen zwischen Ihnen und Christine?
Aber natürlich! Ich bin zum Beispiel auch ein Serien-Junkie. Und auch diese faule, böse, hinterfotzige Seite von Christine steckt in mir – aber ich lebe sie nicht aus. Ich erlaube mir nie, den ganzen Tag im Jogginganzug rumzulungern und vor der Glotze zu hängen. Christine ist gemein, manipulativ, nimmt Drogen, säuft wie ein Loch – das alles würde ich gern, bin aber leider viel zu kontrolliert, um diese «mir-doch-egal»-Attitüde zuzulassen. Bei der Arbeit zum Beispiel bin ich ganz spiessig. Damit ich ein Buch hinkriege, muss alles nach Plan gehen, fast schon zwanghaft. Also früh aufstehen, Sport machen, die Familie versorgen, dann ab ins Büro und vier Stunden schreiben. Und dann erst kümmere ich mich um den ganzen Rest.

Christine ist sehr gewalttätig. Und Sie?
Ich wollte von Anfang an diese wahnsinnige Brutalität einbauen. Selbstverständlich kann man so etwas nur schreiben, wenn das in einem steckt. Tut es auch, aber es wird nie aus mir rauskommen, weil ich total Angst vor Gefängnissen habe.

Bei so viel unterdrückten Emotionen brauchen Sie bestimmt ein Ventil, um Dampf abzulassen?
Ich mache ganz viel Sport, um die Energie rauszulassen. Und natürlich schreibe ich, das beruhigt.

Sie gelten als Feministin einer neuen Generation. Was halten Sie vom Viagra für die Frau?
Ich bin erstmal ein Fan und verstehe noch nicht ganz, was man dagegen haben kann. Die Sexualität der Frau ist ja viel stärker vom Alltag abhängig. Die Arbeit! Der Stress! Die Kinder! Männer können Probleme und Stress offenbar viel besser ausblenden und einfach sagen, okay, jetzt ist Zeit für Sex. Eine Frau kriegt das aber manchmal nicht im Kopf hin, auch wenn sie möchte. Sie kann den Kontakt zu ihrer eigenen Libido nicht herstellen. Wenn da ein Mittel vorhanden ist, das die Lust so ein bisschen anhebt, ist doch nichts dagegen einzuwenden.

Würden Sie es ausprobieren?
Klar, schon aus reinem Interesse.

Sind Sie auf Social-Media?
Überhaupt nicht. Ich weiss nicht mal, wie das geht und ich fühle mich zu alt, um da noch einzusteigen. Besoffen einen Scheiss schreiben und dann auf Facebook mit Tausenden von Menschen zu teilen – das kann mir nicht passieren! Ausserdem: das beste Mittel gegen einen Shitstorm ist ja, keinen Facebook- oder Twitteraccount zu haben.

Sie können sehr gut austeilen – wie siehts mit einstecken aus?
Kritik aus meinem Freundesoder Familienkreis nehme ich gern an. Aber negative Kritik über meine Bücher oder meine Person verkrafte ich nicht gut. Da können einzelne Sätze so persönlich und vernichtend sein. Deshalb lese ich schon seit Jahren konsequent keine Kritiken über mich, auch keine guten!

Was sagt Ihre Therapeutin zu Ihrem neusten Buch?
Sie findet es ja sehr gut, dass ich Bücher schreibe, aber sie ist dagegen, dass ich sie veröffentliche. Aber in diesem Punkt ignoriere ich halt ihre Meinung. Ein Buch zu veröffentlichen ist wie eine Liebesbeziehung, die irgendwie geil, aber selbstzerstörerisch ist. Man kann nicht ohne sein. Und wenns vorbei ist, dann …

… kommt die Krise?
Ja, dann muss ich wieder zusammengeflickt werden. Und meine Therapeutin kann sagen, siehst du, hab ich doch gesagt.

Oder Sie schreiben ein Buch?
Genau. Ich habe auch bereits eine Idee. Und ja, auch darin wird Sex vorkommen.


Exzentrik und Tragödie

Charlotte Roche wird 1978 in England geboren, wächst aber in Deutschland auf. Bekannt wird sie Ende der 90er-Jahre als exzentrische Moderatorin des deutschen Musiksenders Viva. Harald Schmidt nennt sie die «Queen of German Pop Television». 2001 will Charlotte in London heiraten. Auf der Fahrt zum Fest sterben ihre drei Brüder bei einem Autounfall, die Mutter überlebt schwer verletzt. Die Tragödie verarbeitet Roche in ihrem zweiten Buch «Schossgebete», das sich drei Millionen Mal verkauft. Die Autorin lebt mit ihrer 12-jährigen Tochter und ihrem Mann in Köln.