Die finnische Hauptstadt macht im Sommer die Nacht zum Tag. Die Einwohner geniessen die endlosen Abende bei sonnenverwöhnten Früchten und Gemüsen und anderen einheimischen Leckerbissen.

Nina Merli

26. Mai 2011
Früher mangelte es uns an Selbstbewusstsein», sagt Pekka Terävä, Chefkoch und Mitinhaber des «Olo». «Wir kopierten die italienische oder französische Küche – und konnten selbstverständlich nicht mithalten.» Doch seit ein paar Jahren besinnen sich die nordischen Chefköche vermehrt auf ihre eigenen Wurzeln. Mit Erfolg: Beim letztjährigen Ausscheidungswettbewerb für den renommierten «Bocuse d’Or» schafften es Dänemark, Norwegen, Schweden sowie Finnland unter die ersten sechs. Pekka Terävä coachte das finnische Team und ist mit dem fünften Platz, den seine Crew erreichte, sehr zufrieden. Es sei eine Bestätigung der kulinarischen Kursänderung. Ebenso wie der «Michelin»-Stern, den er kürzlich erhielt.

Das Motto der neuen finnischen Küche ist unprätentiös wie die Finnen selber: «Back to the roots – zurück zum Ursprung». Man setzt, so weit es geht, auf heimische Produkte, möglichst aus biologischem Anbau. Importware wird gemieden, stattdessen kommen Kartoffeln, Schwarzwurzeln, Randen, Karotten, Rentierfleisch und jede Menge Fisch in Töpfe und Pfannen. Alles Zutaten, die lange die einheimische Küche prägten, aber in Vergessenheit gerieten. Die wahre finnische Küche dominiert zurzeit Helsinkis Gourmetkreise, so wie die Partei der «Wahren Finnen» nach ihrem Wahlerfolg im April die politische Debatte dominiert. Doch im Gegensatz zum Rechtsrutsch, den diese Partei auslöste, bereitet die neue finnische Küche niemandem Magenschmerzen.

Perttu Paulasto, Chefkoch im Restaurant Juuri, auf Deutsch «Wurzel», lässt sich für die berühmten Sapas – finnischen Appetizer – von den Rezepten seiner Grossmutter inspirieren. Ihre Kochanleitungen stammen aus einer Zeit, als es in Finnland noch kein Evian-Wasser und keine exotischen Früchte gab. Auf der Speisekarte des «Juuri» finden sich Fischpastete mit Kohlrabi, gebratene gelbe Rüben mit Blumenkohlpüree oder Forelle mit Wurzelgemüsesalat. Wie die meisten Finnen ist Perttu Paulasto sehr naturverbunden. Seine Speisen garniert er mit Gräsern und Blumen, die er in den Wäldern und auf Wiesen selber pflückt.

Finnlands Natur ist ein grosser Supermarkt

Dies ist eine typische finnische Freizeitbeschäftigung. Denn unberührte Natur gibt es im hohen Norden viel. Schliesslich kommen nur 15,7 Einwohner auf einen Quadratkilometer, in der Schweiz sind es 189 auf der gleichen Fläche. Gerne entspannen sich die Bewohner Helsinkis auch auf einer der rund 300 Inseln, die vor der Stadt liegen. Viele sind gerade mal so gross wie ein Fussballfeld oder noch kleiner. Meistens unbewohnt, aber dennoch mit einer Sauna ausgestattet, die die Bevölkerung nutzen darf, um sich anschliessend im Meer abzukühlen. Das tun Finnen selbst mitten in der Nacht, denn dunkel wird es im nordischen Sommer nie. Wenn die Hauptstädter nicht zum Chillen auf eine der Inseln fahren, treffen sie sich am Sandstrand Hietaniemi, Hietsu genannt, der am Ende des gleichnamigen Friedhofs liegt. Doch das stört keinen. Die Toten sind tot, die Lebenden lebendig. Finnen sind nicht nur naturverbunden, sondern auch unkompliziert.

Ein Botschafter der finnischen Küche

Dies trifft auch auf Markus Maulavirta zu, Finnlands ersten Sternekoch und so was wie der Jamie Oliver des Landes. Regelmässig tritt er im Fernsehen auf. Starallüren kennt er trotzdem nicht. Von Zeit zu Zeit arbeitet er als Gastkoch in renommierten finnischen Hotelrestaurants oder gastiert im Ausland, sei es in Venedig oder letztes Jahr im Zürcher Hotel Greulich. Ist Maulavirta zurück in Helsinki, hält er sich oft im Lasipalatsi auf, einem Medien- und Kulturzentrum mit Cafés, Restaurants und Geschäften. Dort führt der Koch seit 2009 mit einigen Partnern den Feinkostladen Maatilatori, in dem ausschliesslich biologisch angebaute finnische Produkte verkauft werden, die Maulavirta auf seinen Gourmet-Touren durchs Land entdeckt. Immer auf der Suche nach noch besseren, noch reineren Lebensmitteln, reist er in die entlegensten Winkel Finnlands. Entdeckt er Bauern oder Metzger, die mit viel Liebe anbauen und herstellen, nimmt er deren Produkte in sein Sortiment auf und unterstützt die Schaffer mit seiner Popularität.

Maulavirta wurde schon oft von grossen Konzernen angefragt, für viel Geld für Lebensmittel zu werben. Das hat er immer abgelehnt. Wer es aber mit seinen Waren in Maulavirtas Feinkostladen schafft, darf mit dessen Namen so viel Werbung machen, wie er will. Kostenlos. «Vor ein paar Wochen habe ich in Lappland eine biologische Käserei entdeckt», schwärmt Maulavirta, «ein einziger Bissen genügt, um nie wieder Industriekäse zu essen. Dein Gaumen weigert sich einfach.»

Das Bekenntnis zu einheimischen Produkten

Der Trend zu heimischen, biologischen Produkten ist schon fast eine Ideologie, eine Lebenseinstellung. «Wieso soll ich meinem Körper mittelmässige, chemisch veränderte Massenware geben, wenn die Natur mir nur das Beste vom Besten schenkt?», fragt Maulavirta, während er an einem Bund Dill riecht. «Auf dem Markt zum Beispiel findet man fantastische finnische Erdbeeren, die Tag und Nacht Sonne getankt haben.» Tatsächlich, die Erdbeeren, die die Händler am Hafen anbieten – sie verkaufen sie literweise –, riechen köstlich und schmecken intensiv. Ihre Qualität sowie die der anderen Produkte auf dem Markt ist nicht zu überbieten.

Auf dem Markt gibts sogar Bärenfleisch

In der alten Markthalle (Vanha Kauppahalli), die sich ebenfalls am Hafen befindet, bekommt man einen Überblick über die finnische Küche. In dem rund 120-jährigen Gebäude findet man Bärenfleisch, Elchpastete oder Leipäjuusto – gebackenen Käse – sowie Fisch in allen Varianten und Formen. Für den kleinen Hunger zwischendurch greifen die Finnen zu Krabben- oder Heringbrot. Gerne treffen sie sich an der Marina, um die langen, lauen Sommernächte zu geniessen. Dann schnappen sie sich ein Fischsandwich oder in Butter frittierte Felchen, die hier überall verkauft werden, trinken ein kühles Bier und schauen den Schiffen hinterher.